Aus braunem Schlamm empor …

Evrim, Du hast anonyme Droh-Emails erhalten?

Ja, ich habe mehrere Drohmails mit frauenfeindlichen Gewalt-und Mordandrohungen bekommen. In einer heißt es: „Du Kommunistenschlampe! Du bist bald genauso tot wie Walter Lübcke“.  Das ist leider nicht das erste Mal, dass ich von gewaltbereiten Rechtsradikalen solche Drohmails erhalten habe.

Seit ich 1999 ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt wurde, bekomme ich solche Morddrohungen. Leider blieb es nicht bei Worten: So haben Nazis haben 2010 mein Auto vor meiner Haustür in Lichtenberg in Brand gesetzt. 

Also sind die Täter bekannt?

Nachdem mein Auto angezündet wurde, soll ein Verdächtiger gefasst worden sein, an dessen Händen Spuren eines Brandbeschleunigers und von Benzin gefunden wurden. Aber es gab keine Festnahme und keine Verurteilung. Für mich sind die erfolglosen Ermittlungen der Polizei kein Zufall. Ich befürchte rechte Netzwerke in der Berliner Polizei. In den Berliner Ermittlungsbehörden gibt es immer wieder Verdachtsfälle mit Bezügen in die rechtsextreme Szene. Ein Beispiel dafür ist der Berliner Polizist Andreas T. Er hat auf seinem Körper Tätowierungen verfassungsfeindlicher Symbole.

Außerdem ermitteln die Berliner Behörden wissentlich unterkomplex. Ich gehe davon aus, dass es zwischen der aktuellen rechten Terrorserie in Neukölln und meinem Fall einen unmittelbaren Zusammenhang gibt. Ich vermute nämlich, dass dieselben gewaltbereiten Neonazis für die Anschläge in Neukölln verantwortlich sind wie damals in Lichtenberg. Mit dem Erstarken der rechtsextremen Partei AfD haben sie für ihre Gewalttaten Aufwind bekommen.

Seit 2016 gibt es immer wieder rechte Anschläge im Bezirk Neukölln und dort hat die Polizei bis heute auch keinen Täter gefasst…

Ja, es ist für mich unfassbar. Obwohl den Berliner Ermittlungsbehörden die gewaltbereiten Neonazis bekannt sind, passiert seit Jahren nichts. Auf das Auto des Linken-Mitglieds Ferat Kocak wurde im Februar 2018 in Neukölln ein Brandanschlag verübt. In Folge der Ermittlungen kam zu Tage, dass der Verfassungsschutz und der Staatsschutz des Landeskriminalamtes (LKA) die Neonazis dabei abgehört haben, wie sie über Ferat Kocak sprachen und ihn ausgespäht haben. Sie haben Ferat weder gewarnt noch geschützt.

Was denkst Du, woran das liegt?

Seit Anfang des letzten Jahres ermittelt eine Sondereinheit des Berliner LKA namens „Focus“ gegen die Täter der Anschlagsserie in Neukölln. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Erst am 10.07.2020 hat mich das Bundeskriminalamt (BKA) informiert, dass mein Ehemann Dr. Robert Sommer und ich mit unseren persönlichen Daten auf der sogenannten „Feindesliste“ der Neonazis stehen. Dabei wussten die das seit einem Jahr, und sie wussten, dass ich schon früher gefährdet war. Auch vor dem Brandanschlag auf mein Auto stand ich auf der „Feindesliste“ eines Neonazi-Netzwerks.

Das klingt nach mehr als schlechter Arbeit…

Nach Informationen aus Justizkreisen, die der Tagesspiegel am 06.08.2020 öffentlich gemacht hat, soll ausgerechnet der Leiter der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft eine politische Nähe zu einem der Hauptverdächtigen gehabt haben. Der Chef-Ermittler selbst soll das Verfahren absichtlich verschleppt haben. Es könnte sein, dass die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden die rechtextremistischen Täter schützen.

So erklärt sich auch für mich, warum die Staatsschutzabteilung und die Staatsanwaltschaft Berlin bei dem Brandanschlag auf mein Auto in Lichtenberg weiter alles unter Verschluss halten, obwohl ihnen die hauptverdächtigen Neonazis im Neukölln-Komplex bekannt sind. Wegen der neuen Erkenntnisse, werde ich meinen Fall neu aufrollen und juristisch vorgehen.

Was muss jetzt passieren?

Am 06.08.2020 hat endlich die Generalstaatsanwaltschaft den Fall an sich gezogen. Die Verwicklungen und Ungereimtheiten bei den Berliner Ermittlungsbehörden müssen endlich aufgearbeitet und Transparenz muss hergestellt werden. Ansonsten schwindet das Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden bei den all jenen, die sich gegen rechts engagieren. In diesem Zusammenhang finde ich die Forderung der Zivilgesellschaft richtig, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzuberufen, in dem der Umgang von Polizei und Justiz mit der Anschlagsserie beleuchtet wird.

Und wie gehst Du mit der Bedrohung um?

Ich bin mir schon bewusst, dass ich genau in das „Feindbild“ der Neonazis passe. Ich engagiere mich seit vielen Jahren gegen rechts. Mit zivilgesellschaftlichen Akteuren habe ich viele Anti-Nazi-Demos angemeldet und durchgeführt. Außerdem bin ich mit meinen Eltern und vier Geschwistern 1980 vor der faschistisch-hochgerüsteten türkischen Militärjunta aus der Türkei nach Berlin-Spandau geflüchtet. Seither ist es mir eine Herzensangelegenheit und besondere Verpflichtung mich für Geflüchtete einzusetzen. Und genau deshalb stehe ich seit Jahren auf der sogenannten „Feindesliste“ der Neonazis.

Schon als Kind habe ich gelernt, dass Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus immer die Feinde der Demokratie sind. Und deshalb müssen wir alle gemeinsam gegen diese menschenverachtende Ideologie eine klare Haltung einnehmen und diese offen zeigen.