Neues LINKES Sozialstaatkonzept
Sind wir bereit für die Zukunft?
Schlüssig für eine Reform des Sozialstaates zu argumentieren, ist die Basis linker Politik. Die Wucht, mit der der am 11. Januar 2020 erschienene Beschluss des Parteivorstandes „Das LINKE Konzept für einen demokratischen Sozialstaat der Zukunft“ eingeschlagen hat, gleicht der Leichtigkeit einer Feder. Weder medial noch intern wurde der Beschluss intensiv diskutiert.
Reflektiert und stets kritisch – ein linker Anspruch, der auch in den eigenen Reihen von Nöten ist. Die Linke als einzige Partei, die ohne Spenden von Unternehmen aufrichtig für die Menschen kämpfen kann und somit politischer Hoffnungsträger für eine gerechte Zukunft ist. Mitdenken ist angesagt. Der Sozialstaat der Zukunft ist für uns alle. Sollte er dann nicht von uns allen gestaltet werden?
Nach dem obligatorischen Marx Zitat zu Anfang, startet die Einleitung des 15-seitigen Textes mit allerlei Konjunktiven und pathetischen Sätzen, dass die Welt doch schon viel besser sein könnte. Daraufhin wird ausgiebig die Lage analysiert mit zahlreichen Schuldzuweisungen gegen die „Oben“ und den Neoliberalismus, um dann auf das eigene Konzept zu verweisen, das auf keinen geringeren Anspruch als universelle globale Gerechtigkeit zielt. Diese Lösung wird anschließend mit konkreten Forderungen in den Bereichen Soziale Sicherung, Soziale Dienstleistungen und Arbeit untermauert. Der Beschluss endet mit einer halben Seite Fazit, die, um den Bogen von Marx zu Lenin zu schlagen, mit „Was tun“ betitelt ist. Große Fußstapfen, die sich die Autoren zu füllen vornehmen.
Konkrete Forderungen
Nun wird es spannend: Unter den drei genannten Säulen werden jeweils einige konkrete Maßnahmen aufgezählt, für die Die Linke sich einsetzt.
Die Sozialversicherungen sollen erneuert werden. Eine Solidarische Mindestrente von 1200€ und ein Solidarausgleich für niedrige Löhne sind die Basis. Die Rente soll spätestens ab 65 ausgezahlt werden und zu einer Erwerbstätigenversicherung umgewandelt werden. Hartz 4 muss weg und durch ein Arbeitslosengeld Plus ersetzt werden, dabei soll auch das Recht eine konkrete Arbeit abzulehnen eingeräumt werden. Eine Kindergrundsicherung von 600€ und kostenfreier ÖPNV für Kinder und Jugendliche sind die Lösung gegen Kinderarmut. Die Zwei-Klassen-Medizin muss durch eine solidarische Gesundheitsversicherung ersetzt werden, genauso wie die neue solidarische Pflegevollversicherung.
Die beiden Grundsätze für den zweiten Punkt „Soziale Dienstleistungen und öffentliche Infrastrukturen“ lauten Gemeinwohlorientierung, also kein Profitzwang und partizipative Mitgestaltung und Mitbestimmung durch die Gesellschaft. Soziale Dienstleistungen müssen hierbei verstanden werden als überwiegend personenbezogen, also zum Beispiel Gesundheits-, Pflege-, Sozial- oder Bildungswesen. Materielle Infrastrukturen sind Straßen, Schienen, Bibliotheken, Theater, Schwimmbäder, analoge und digitale Kommunikationsnetze und ähnliches. Dass diese Dienstleistungen und Infrastrukturen die Basis für die Erfahrung des Einzelnen Teil einer Gesellschaft zu sein bedeuten, wird in diesem Teil in den Vordergrund gerückt. Jährlich sollen 120 Milliarden in den Ausbau dieser gesteckt werden. Bessere Bildung, Investitionen in Krankenhäuser und Pflege-WGs sind nur der Anfang. Ebenso soll ein Neustart für den sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau folgen. Eine Energiewende, bei der die saubere Energie in Bürgerhand ist und kostenfreier, ausgebauter Nahverkehr müssen her. Zugang zu schnellem Internet überall ist längst überfällig. Kommunen sollen massive Unterstützung bekommen um Leistungen (Freizeit, Kultur, Jugendclubs etc.) auszubauen und im öffentlichen Dienst soll das Personal aufgestockt werden.
Im dritten Teil, betitelt mit „Arbeit, die zum Leben passt“ wird ein neues Normalarbeitsverhältnis vorgestellt. Tarifbindung und Tarifverträge sollen für alle gestärkt werden und Befristungen, Leiharbeit und Lohndumping durch Werkverträge gestoppt. Ein neuer Mindestlohn von 13€ und ein Recht auf eine Mindeststundenzahl von 22 Stunden pro Woche sind die Antwort auf Armut. Eine gesetzliche Höchstarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche, sowie eine Anti-Stress-Verordnung mit einem Recht auf Nichterreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit schaffen Entlastung. Eine neue Normalarbeitszeit von 28 bis 35 Stunden pro Woche wird als kurze Vollzeit betitelt und soll die Zukunft der Arbeit ebnen, um allen Menschen mehr Zeit für Freizeit, Care-Arbeit und Engagement zu geben. Eine höhere Mindestausbildungsvergütung und ein anknüpfendes ausgebautes Recht auf Umschulung und Weiterbildung spielen eine große Rolle neben einem elternunabhängigem BaföG, das nicht zurückgezahlt werden muss.
Wo bleibt das Neue?
Forderungen, die der breiten Masse an Menschen viel bringen würden. Aber wie kann es Die Linke schaffen, diesen Forderungen einen Weg in die Realität zu ebnen?
Selbst unter linken Wählerinnen und Wählern werden der Partei besonders schlechte Problemlösungsfähigkeiten zugeschrieben. Altbekannte, unzusammenhängende Maßnahmen aufzuzählen und diese unter ausgeleierten Begriffen zusammenzufassen – kann das die Lösung sein? Oder sind das zunächst wahllos erscheinende Maßnahmen, die sich dann jedoch zusammenfügen? Wie entwickeln wir tragfähige Ideen für die Zukunft, die zusammenhängend funktionieren? Schaffen wir es, uns von vergangenen Vorstellungen zu lösen, um Platz zu machen für eine neue Utopie?
Utopie schaffen
Die Kraft der Veränderung ist aus Utopien zu schöpfen, wie schon Ernst Bloch erkannte. Eine Gesellschaft ohne Entfremdung ist die Basis unseres Traumbildes. Diese Utopie immer konkreter werden zu lassen und damit eine Neugier auf die Zukunft auszulösen, in der Kommendes als Sprengkraft für gegenwärtige Ungerechtigkeiten dient, ist das Ziel, das sich Die Linke setzen sollte.
In einer Gesellschaft, in der Dystopien die literarische Gattung der Zeit sind und Menschen sich eine Utopie schon gar nicht mehr ausmalen können, braucht es eine Kraft, die politisch glaubwürdig für eine gute Zukunft steht. Dabei geht es nicht nur darum, Hoffnung zu geben, sondern auch darum authentisch zu bleiben. „Der Sozialstaat der Zukunft muss die Menschenwürde respektieren und soziale Garantien für alle aussprechen. Davon sind wir noch weit entfernt.“, sagt Katja Kipping dazu.
So sind diese Forderungen nicht als unrealistische Einzelmaßnahmen zu sehen, sondern als ein Mindestmaßstab, den wir als Oppositionspartei setzen und damit den derzeitigen Ungerechtigkeiten massiv entgegenstehen. Für diese Forderungen nun zu kämpfen und aufzuzeigen, dass sie zusammenhängend funktionieren, ist die noch fehlende Entwicklung und das, was durch die parlamentarische Arbeit bewiesen werden muss.
Der Mut, revolutionäre neue Ideen einzubringen, fehlt. Genaue Erläuterungen, wie und warum gesamtgesellschaftliche Transformationen nötig sind, gehen in dem Entwurf unter. Wenn die freiwerdende Zeit sich weiterhin gegen die Arbeitenden in Gestalt von Arbeitslosigkeit kehrt, bleibt die Freiheit der Entfaltung menschlicher Wesenskräfte fern. Die festgefahrene Logik neue Arbeitsplätze schaffen zu wollen, muss endlich durchbrochen werden und die Chancen, die uns durch die Digitalisierung und der bisherigen Produktivitätssteigerung serviert werden, endlich ergriffen werden.
Konkrete Forderungen vs. Utopie
Leicht gesagt eine umsetzbare Utopie zu schaffen. Revolutionäre Reformideen: Ist das wirklich das, was Die Linke braucht? Oder sind diese Maßnahmen genau richtig, um als Oppositionspartei in Verhandlung zu treten? Endgültig geklärt ist die Frage nicht und so bedarf es an Diskussion, um den geforderten und essenziellen partizipativen Prozess anzustoßen. Eure/Ihre Meinung dazu ist gefragt! Schreibt uns bis zum 1.11.2020, denn nur mit euch können wir eine gerechte Zukunft schaffen.